Mit der Auszeichnung "UNICEF Foto des Jahres" prämiert UNICEF Deutschland seit dem Jahr 2000 Fotos und Fotoreportagen, die die Persönlichkeit und Lebensumstände von Kindern weltweit auf herausragende Weise dokumentieren.
Der international renommierte Wettbewerb richtet sich an professionelle Fotograf*innen. Über die Preisvergabe entscheidet eine unabhängige Jury.
Wir stellen Ihnen hier sowohl die Siegerfotos, als Informationen zu den Fotografen vor.
Begleitet von Freundinnen übt die fünfjährige Alina das Fahrradfahren. Ein Moment der Unbeschwertheit unter den schwarzen Wolken des Unheils, irgendwo auf einer Wiese im Nordwesten der Ukraine. In der Nacht zuvor hat eine Drohne hier ein Öllager in Brand gesetzt. Nur ein Öllager in diesem Fall, kein Wohnhaus, kein Krankenhaus, keine Schule.
Nicht an jedem Tag und an jedem Ort seit dem Februar 2022 ist der Krieg in der großen Ukraine derart präsent, dass er kindliche Freuden, Bedürfnisse, Widerstandskräfte restlos vernichten könnte. Der polnische Fotograf Patryk Jaracz zeigt das in diesem Bild.
Zugleich dokumentiert Jaracz die Verletzungen der kindlichen Psyche und an den Körpern ukrainischer Kinder: Einen 13-jährigen Jungen, der bei der Flucht in einem Auto von fünf Kugeln getroffen wurde und den Tod seines Vaters miterleben musste.
Viele Familien in den Städten des Donbass leben ständig in Kellern, um sich vor dem Beschuss zu schützen, der oft auch ihre Häuser niederbrannte.
Kinder mit Panikattacken bei jedem Flugzeuggeräusch. Die Tiefenwirkung der Kriegserfahrungen von Millionen ukrainischen Kindern zu erfassen, ist noch schwer möglich. Zumal das Ende von Bombardements, Flucht und Verletzung nicht abzusehen ist. Es breche ihm das Herz, sagt Jaracz, Menschen derart leiden zu sehen.
Patryk Jaracz, Jahrgang 1990, hat in London und Toronto als Kreativ-Direktor und Designer gearbeitet, bevor er sich für Reportage-Fotografie und Dokumentar-Film entschied. 2020 verfolgte er die Proteste gegen den weißrussischen Diktator Lukaschenko in Minsk, wurde inhaftiert und misshandelt.
Seit Anfang 2022 lebt Jaracz in Kiew, berichtet für Printmedien und TV-Anstalten in Deutschland und anderen europäischen Ländern ausschließlich über den Krieg in der Ukraine. Sie ist für ihn ein Ort, an dem „nicht nur über die Zukunft dieses einen Landes entschieden wird“.
Helme, Handschuhe, Schutzbrillen haben sie nicht, wenn sie hundert Meter und mehr in die Berge von Chinarak hineinkriechen. Messgeräte für giftige Gase gibt es nicht. Die Stützbalken in den Stollen sind provisorisch, die Luft ist stickig, der Boden tückisch. Und manche der Jungen, die für umgerechnet ein paar Euro am Tag Kohle aus dem Gebirge nördlich von Kabul fördern, sind gerade einmal zehn Jahre alt.
Kinderarbeit hat es in Afghanistan immer gegeben, doch seit dem Sieg der Taliban, seit dem Rückgang internationaler Hilfe, seit auch noch Missernten und Dürren über die Menschen gekommen sind, sehen sich immer mehr Familien gezwungen, schon ihre minderjährigen Söhne für das tägliche Brot schuften zu lassen.
Und so sind unter den Erwachsenen auch viele Kinder, die Kohle in Säcke schaufeln, sie auf den Rücken von Eseln wuchten und die Tiere auf schmalen Pfaden durch eine entwaldete Landschaft ins Tal hinabtreiben.
Wie die Bilder des deutschen Fotografen Oliver Weiken nahelegen, ist es eine Anstrengung, die kaum Kraft lässt, auch noch zur Schule zu gehen. Als Straßenverkäufer, Wasserträger, Schuhputzer, Müllsammler, Gehilfen auf Märkten oder eben in Minen wie jenen von Chinarak arbeiten schätzungsweise 20 Prozent aller afghanischen Jungen und Mädchen. Die von den Vereinten Nationen definierten Kinderrechte sind in kaum einem anderen Land der Welt so fern von ihrer Verwirklichung.
Oliver Weiken, Jahrgang 1983, hat noch während seines Studiums die Fotografie für sich entdeckt und zunächst für eine Lokalzeitung und eine Agentur für Sportfotografie gearbeitet. 2003 wechselte er zur dpa, später zur European Pressphoto Agency, für die er elf Jahre in Europa, Asien und dem Mittleren Osten unterwegs war.
2017 kehrte er als Leiter des Internationalen Bilderdienstes und Cheffotograf für den Mittleren Osten zur dpa zurück. Weikens Foto-Reportagen sind in vielen führenden Zeitungen Europas und der USA erschienen.)
Die 80-jährige Galina, die allein in einem Holzhaus lebt. In den späten 60er Jahren arbeitete sie als einheimische Führerin für Goldsucher in Jakutien. Als eine Baptistengemeinde 92' nach Lyengra kam, wurde Galina Christin und unterrichtet hier ihre Urenkelin in der Bibel.
Einst waren sie mit ihren Rentierherden allein in der Tundra und den Wäldern von Jakutien, im Nordosten Sibiriens. War Moskau ohne große Bedeutung für das indigene Volk der Ewenken. Dann kamen die Geologen und Prospektoren auf der Suche nach Gold, Diamanten und anderen reichlich vorhandenen Bodenschätzen. Und schließlich kamen die Holzfäller. Das Leben der Ewenken wandelt sich seither.
Aus vielen Nomaden sind Sesshafte geworden, industrielle Anlagen beschneiden die Wege der Rentiere, Missionare treten gegen den alten Naturglauben an. Das alles verändert auch die Kindheit in Jakutien.
Die jüngere Generation der Evenki macht sich Gedanken über ihre Zukunft. Einige verbringen gerne Zeit in den borealen Wäldern, wo ihre Familien Rentiere züchten, aber sie können sich nicht vorstellen, ihr Leben dort zu verbringen.
Natalya Saprunova, 1986 in Murmansk geboren, hat ein Studium mit dem Ziel begonnen, Französisch-Lehrerin zu werden, aber bereits in dieser Zeit für eine Murmansker Zeitung fotografiert. 2008 zog sie nach Paris, arbeitete dort in der Marketing-Branche und erhielt die französische Staatsbürgerschaft.
2016 wechselte sie endgültig zur Fotografie, studierte an der Ecole des Métiers de l’Information und unterrichtet inzwischen auch Fotografie. Saprunova hat zahlreiche Preise gewonnen, darunter eine ehrenvolle Erwähnung beim UNICEF Foto des Jahres 2021.
Können Bilder die Welt verändern, sie zu einer besseren machen? Es gibt diese Hoffnung. Und häufig wird sie enttäuscht. Eine spezielle Kraft aber können Bilder sehr wohl entfalten. Nicht nur emotional. Sie sind ja auch ein Medium für unser Wissen von der Welt.
Vom Frontverlauf in der Ukraine zu lesen, oder Bilder ukrainischer Kinder vor Detonationswolken zu sehen – das ist ein Unterschied. Statistiken über Kinderarbeit zu kennen, dann aber in das kohlegeschwärzte Gesicht eines Dreizehnjährigen in einer afghanischen Mine zu sehen – das erst erreicht vermutlich das Herz.
Können die UNICEF-Fotos des Jahres die Welt verändern? Wohl nicht das. Aber unsere Kenntnis von dieser Welt. Und unsere Einstellung zu dem, was sie uns zeigen. Sie zeigen uns Kinder, die unseren Respekt verdienen. Unsere Bewunderung. Unser Mitgefühl. Und wenn sie uns animieren, dort zu helfen, wo es nötig ist, dann sind sie doch immerhin ein Schritt, mehr Licht ins Dunkel zu bringen.
Peter-Matthias Gaede ist Mitglied des Deutschen Komitees für UNICEF und Jurymitglied des Wettbewerbs UNICEF Foto des Jahres.